Haushaltsrede Dieter Balle

Stellungnahme zum Haushaltsentwurf des Landkreises Rastatt 2020

Konsequent umsteuern !

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,

der Herr Landrat hat in seiner Haushaltsrede die Politikbereiche genannt, die für die Zukunft auch unseres Landkreises besonders relevant sind:

Klimaschutz, Mobilität, Gesundheit und Digitalisierung. Aus unserer Sicht fehlt jedoch ein wesentlicher Aspekt: der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, die Solidarität.

Wir alle wissen: Wenn es nicht gelingt, die Spaltung in unserer Gesellschaft zu überwinden, die sich vor allem darin äußert, dass gegen bestimmte Teile unserer Bevölkerung, insbesondere Migrant*innen und Geflüchtete, Hass und Hetze verbreitet werden, dann sind die demokratischen Grundlagen unseres Gemeinwesens in Gefahr. Migration als weltweites und immerwährendes Phänomen darf nicht dazu benutzt werden, rassistische und nationalistische Klischees zu befeuern und menschenverachtenden Ideologien den Weg zu bereiten. Deshalb hätte es auch dem Kreistag gut angestanden, klare Kante gegen rechte Hetze zu zeigen und laut und vernehmlich jeglichem Rassismus in allen seinen Spielarten, vom Antisemitismus bis zur Islamophobie eine Absage zu erteilen.

Der Landkreis hat 2018 ein umfangreiches Integrationskonzept verabschiedet, das viele begrüßenswerte Konzepte und Projekte enthält, die erfolgreich umgesetzt werden, wie wir dem Jahresbericht zur Integration entnehmen können. Nach der Auflösung der meisten Erstaufnahmezentren halten wir es aber für nicht sinnvoll, nun alle Stellen der Flüchtlingsmanager*innen wieder abzubauen, von den direkt an die Gebäude gebundenen Tätigkeiten wie Hausmeister und Heimleitung einmal abgesehen. Es besteht weiterhin hoher Bedarf an Beratung, Betreuung und Begleitung für die nun dezentral untergebrachten Menschen, den die ehrenamtlichen Kräfte nicht abdecken können, die unbestritten überall hervorragende Arbeit leisten. Vor allem die Streichung von 2,25 Stellen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Jugendamt halten wir angesichts des großen Hilfe-Bedarfs nicht für zielführend. Es ist notwendig, vom Kindergarten bis zur Arbeitsaufnahme professionelle Hilfe-Strukturen zu stärken und sie wo nötig noch auszubauen, z.B. in der Sprachförderung oder der Schulsozialarbeit.

In punkto Stellenplan plädieren wir für im Übrigen für die Einrichtung von befristeten Stellen nur im sachlich begründeten Ausnahmefall. Die in deutschen Unternehmen und Behörden gängige Praxis praktisch routinemäßig Arbeitnehmer*innen über Jahre hinaus mit Befristungen hinzuhalten ist nicht akzeptabel. Auffällig, dass gerade im Bereich Sozialbereich besonders viele Befristungen zu verzeichnen sind (KU- und KW-Stellen).

Im Übrigen sind wir nach wie vor der Meinung, dass z.B. die Schulsozialarbeit nicht in die Hände freier Träger gelegt werden sollte, sondern dafür unbefristete Stellen beim Landkreis geschaffen werden sollten, bei einer stabilen Grundfinanzierung durch Landesmittel versteht sich.

Als sehr sinnvoll hat sich andernorts auch die Schaffung von FSJ-Stellen an Schulen erwiesen, die durchaus zur Entlastung der Fachkräfte beitragen können und eine wertvolle Erfahrung für junge Menschen darstellen.

Eine Beschäftigtengruppe, die schon seit Jahrzehnten strukturell benachteiligt ist, ist die Gruppe der Honorarlehrkräfte an unseren VHS und anderen Bildungseinrichtungen. Während die angestellten und verbeamteten Arbeitskräfte jährlich ihre tarifliche Gehaltserhöhung ohne eigenes Zutun bekommen, erhöht sich die Dotierung der Honorarlehrer*innen nicht selten selbst in Jahrzehnten nicht, da sie ja auf dem Papier selbständig sind und keinen Anspruch auf eine tarifliche Dotierung haben. Hätte das BAMF 2016 nicht die Bildungseinrichtungen gezwungen, zumindest für die staatlich geförderten Integrationskurse einen Mindesthonorarsatz zu bezahlen, würden noch mehr dieser Kolleg*innen am Existenzminimum herumkrebsen. Unsere Forderung ist: Die BAMF-Sätze von mindestens 35 € für alle Kurse und Kursleiter*innen als Mindestvergütung und jährliche Anpassung analog den Tarifverträgen im Öffentlichen Dienst.

Klimaschutz

Dem Trauerspiel der Berliner Koalitionäre in puncto Klimaschutz sollten wir wenigstens auf Kreisebene eine konsequente Klimapolitik entgegensetzen. Wichtigster Punkt: Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stopp fossiler Energieverwendung, die Decarbonisierung. Wir alle müssen uns fragen

1. Wie können wir unseren Energieverbrauch senken und

2.Was können wir tun, um die erneuerbaren Energien weiter auszubauen und die Energiewende zu unterstützen ?

Der lahmende Ausbau der Windkraft wird katastrophale Folgen haben, wenn er nicht überwunden wird, weil der Wind eben die effektivste Energiequelle ist. Im Raum Mittelbaden gibt es einige Vorranggebiete für Windkraft. Beschleunigte Genehmigungsverfahren und tatkräftiges Eintreten für weitere Windkraftanlagen bzw. das Repowering sind ein Gebot der Stunde. Das Wirrwarr um die Rechtmäßigkeit von Genehmigungen muss schnellstmöglich behoben werden.

Die Photovoltaik ist demgegenüber einfacher zu implementieren. Deshalb sollten aber auch konsequent alle Gebäude in Hinsicht auf ihr PV-Potential auf den Prüfstand

Gerade der Landkreis kann hier mit gutem Beispiel vorangehen und alle Gebäude solar bestücken und bei Neubauten und Sanierungen Passiv-Haus oder Null-Energie-Standards umzusetzen, um langfristig zur Klimaneutralität zu kommen.

Phantasie ist gefragt; Wo können z.B. auch weitere Wasserkraft-Potentiale erschlossen werden, etwa an Rhein oder Murg ?

Denn eines ist klar: Nur wenn wir durch Energieeinsparung und Ausbau der erneuerbaren die Energiewende schaffen, bleibt die Erde wahrscheinlich von irreversiblen Umwälzungen verschont und unsere Kinder und Enkel von ihren dramatischen Auswirkungen. Ein Klimaschutzfonds auch auf Landkreisebene ist ein erster kleiner Schritt.

Auch im Landkreis ist eine konsequente Klimapolitik überfällig, die sich auch in einem bindenden Beschluss niederschlagen sollte. Dabei muss alles auf den Tisch, was den Klimawandel begünstigt. Einige Gemeinden in der Region sind schon Schritte vorangegangen. Herr Landrat, wann legen Sie dem Kreistag einen offensiven Klimaschutzplan vor ? Die Vorlage dazu haben Ravolution u.a. schon geschrieben. Dass die Lasten hierbei natürlich sozialverträglich verteilt werden müssen, ist für uns Linke selbstverständlich.

Verkehrswende

Ein weiteres wichtiges Feld in diesem Zusammenhang ist die Mobilität. Mittlerweile ist allen klar: Der öffentliche Verkehr muss drastisch ausgebaut werden zulasten des MIV. Im Land geht man von einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen. bis 2030 aus. Das bedeutet eine Zunahme im KVV auf 350 Mio Fahrgäste im Jahr. Allenthalben schießen Mobilitätspakte aus dem Boden, RegioMove, RegioPort, Home-Zone, Shuttle und andere wohlklingende Anglizismen schwirren in Form von Feiertagsreden und Hochglanzbroschüren durch die Debatte.

Aber wo sind die konkreten Schritte, die konkreten Pläne ? Die anvisierten Regiobus-Linien zum Nationalpark und zum FH Söllingen sind ein unterstützenswerter erster kleiner Schritt: Aber es geht um mehr:

Der Ausbau der Schiene, der Rheintalstrecke und ihrer Nebenstrecken muss als Rückgrat eines leistungsfähigen ÖV gestärkt und ausgebaut werden, d.h. für unsere Region: Wir brauchen eine funktionierende Schienenanbindung ins Elsass, die Murgtalbahn muss zweigleisig ausgebaut werden, ebenso wie die Kraichgaubahn, der Engpass zwischen KA Hbf und Forchheim-Basheide muss durch zwei zusätzliche Gleise beseitigt werden. Und der Weiterbau der S2 von Rheinstetten-Mörsch nach Durmersheim gehört ebenso dazu wie der Bau einer S-Bahn-Haltestelle in Ottersweier.

Daneben müssen die Bus-Anbindungen an die Schiene mit besserer Taktung und einem erweiterten Angebot ausgebaut werden, um möglichst viele Gemeinden an das ÖV-Netz anzubinden. Angebote wie AST,ALT, Shuttle und wie immer diese Programme heißen, sollten aus- , nicht abgebaut werden. Das Radwegenetz muss systematisch ausgebaut werden inkl. Radschnellwege.

Hinzu kommt, dass ohne ein attraktives Preisangebot die Verkehrswende nicht zu schaffen ist. Wien hat es vorgemacht, wie man durch ein attraktives Tarifsystem Autofahrer*innen zum Umstieg bewegen kann. 1 € pro Tag und Netz ist der Maßstab zum Einstieg in den Umstieg. Wichtig ist uns auch die Einführung eines Sozialtickets, das Schüler*innen, Studierende, Auszubildende und Geringverdiener freistellt. Dafür sollten sich die KVV-Aufsichtsratsmitglieder des Landkreises Rastatt stark machen. Der KVV hat bislang nichts vorgelegt, was in die Zukunft weist.

Auch der geplante E-Tarif HomeZone ist leider nicht geeignet, etwas zu bewegen. Langfristig ist für uns der fahrscheinlose oder ticketfreie ÖPNV die richtige Alternative, finanziert von einer sozialverträglich gestalteten Nahverkehrsabgabe , die von den Steuerzahler*innen aufgebracht wird.

PFC

Unsere natürlichen Lebensgrundlagen, die Böden und das Grundwasser in der Region sind zusätzlich durch den PFC-Skandal aufs höchste gefährdet. Mittlerweile sind mehr als 1000 ha verseucht und bei jeder Untersuchung kommen weitere Flächen hinzu. Bisheriger Höhepunkt des Skandals ist nun die Tatsache, dass in einigen Gemeinden unseres Landkreises das Trinkwasser bereits gesundheitsgefährdend belastet ist und von der Bevölkerung nicht mehr bedenkenlos konsumiert werden kann.

Davon abgesehen , dass auch die grün-dominierte Landesregierung sich hierbei nicht eben vorbildlich bürgernah verhalten hat, ist die Justiz nach wie vor und auch der Landkreis in der Pflicht, durch gerichtliche und außergerichtliche Aufklärung alles zu tun, um die Verursacher und ihre Hinterfrauen/-männer auch finanziell zur Verantwortung zu ziehen und alle Zusammenhänge aufzuklären.

Diese akute Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen zeigt: Nur ein konsequentes Umsteuern auf naturnahes, ökologisches und glyphosat-freies Landwirtschaften hat eine Zukunft. Hierbei muss auch der Landkreis fördernd und unterstützend tätig sein.

Gesundheitswesen

Hier sind Prozesse im Gang, die wir mit Sorge betrachten. Wirtschaftlichkeits- und Effizienzfaktoren spielen eine immer größere Rolle, der Mensch rückt in den Hintergrund. Wenn es für Kassenpatienten immer schwieriger wird, innerhalb einer zumutbaren Frist einen Facharzttermin zu bekommen, während Privatpatienten noch am selben Tag zum Zuge kommen, dann läuft etwas schief. Eine 2-Klassengesellschaft im Gesundheitswesen lehnen wir ab. Statt immer mehr Teile des Gesundheits- und Pflegewesens der Privatisierung und damit der kapitalistischen Verwertungs- und Profitlogik zu unterwerfen, sollte das Gesundheitswesen als wesentlicher Teil der kommunalen Daseinsvorsorge begriffen werden.

Auch die Zentralisierungs- und Konzentrationsentwicklung im Krankenhauswesen sind besorgniserregend. Nach der Schließung der Akut-Kliniken in Forbach und Ebersteinburg darf an den drei verbliebenen Akut-Standorten Baden-Baden, Bühl und Rastatt nicht gerüttelt werden, will man weiterhin wirklich eine wohnortnahe Versorgung gewährleisten.

Wohnungsbau

In den vergangenen Jahrzehnten wurden bei uns kommunale Wohnbaugesellschaften privatisiert , der soziale Wohnungsbau eingestellt. Nun sehen wir das Ergebnis: Wohnraummangel und explodierende Mieten, wohin man schaut. Diese Entwicklung muss gestoppt werden, z.B. durch eine Sozialquote bei neuen Wohnbauprojekten von mindestens 50%. Kommunale Grundstücke sollten nur noch in Erbpacht vergeben werden.

Finanzen

Bei der Pro Kopf-Verschuldung rangiert der Landkreis im Mittelfeld der baden-württembergischen Landkreise.

Die Schwarze Null darf in dieser Lage keine heilige Kuh sein.

Notwendige Investitionen im Klimaschutz, erneuerbare Energien, Mobilität, PFC-Beseitigung und Gesundheitswesen erfordern zukünftig zusätzliche hohe Mittel, auch und gerade für den Landkreis.

Deshalb sind wir gegen eine kurzfristige Senkung der Kreisumlage.

Schließen möchte ich mit einem Wort des Philosophen Karl Marx an die Entscheidungsträger:

Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“

Danke für Ihre Aufmerksamkeit